Thomas Hodgkin war einer der markantesten britischen Pathologen seiner Zeit und ein Vorkämpfer der präventiven (vorbeugenden) Medizin. Im krassem Gegensatz zu seiner großen Beliebtheit, die er vor allem in London genoss, steht die Tatsache, dass ihm ein berufliches Weiterkommen verwährt wurde. Immer mehr von der Medizin enttäuscht, entschloss er sich, den Orient zu bereisen. Am Londoner "Guy's Hospital" war Hodgkin ein Kollege von Richard Bright (1789-1858) und Thomas Addison (1793-1860). Jugend Thomas Hodgkin war der Dritte von vier Söhnen von John Hodgkin und Elizabeth Rickman. Seine zwei älteren Brüder starben in ihrer Kindheit. Seine Eltern waren viktorianische Quäker und lebten als Mitglieder von "The Society of Friends" streng nach den Regeln ihrer Sekte. Die Kindheit von Thomas und seinem jüngeren Bruder wurde stark vom Glauben und Lebensstil der Quäker geprägt. Tanzen und Lesen von Romanen waren verboten. Männer sowie Frauen waren einfach gekleidet und den Kindern wurde beigebracht ihren Aktivitäten in Stille nachzugehen. Die Hodgkin-Brüder interessierten sich sehr für Mechanik, Chemie und Elektrizität - Interessen, die sie mit ihrer gleichaltrigen Cousine Sarah Adler teilten, in die sich Thomas Hodgkin später verliebte. Diese Liebe währte mit Höhen und Tiefen 35 Jahre lang, aber trotzdem konnten sie nicht heiraten, da die Quäker die Ehe zwischen Cousins verboten. Die Brüder erhielten vor allem durch ihren Vater eine breitgefächerte private Erziehung und schon als junger Mann beherrschte Thomas Fremdsprachen wie Latein, Französisch, Italienisch, Deutsch und Spanisch perfekt. Studentenjahre Im ungewöhnlich hohen Alter von 21 Jahren schrieb er sich im September 1819 als Medizinstudent in "The United Hospitals of St. Thomas's and Guy's" ein. Ein Jahr später ging er nach Edinburgh, um mit seinen Studien an der Universität von Edinburgh fortzufahren. Dort musste er zwar hart für sein Studium arbeiten, aber in seinen Briefen an seine Eltern kritisierte er bereits zu dieser Zeit die meisten Bücher wegen ihres Stumpfsinns und ihrer fehlenden Genauigkeit. Seine Kritik wurde später von keinem geringeren als Charles Darwin gestützt. Zu dieser Zeit war es üblich, dass Medizinstudenten ins Ausland gingen, um ihr Wissen zu erweiten. So ging Hodgkin 1821 nach Italien und Frankreich. Dort arbeitet er hauptsächlich in Pariser Krankenhäusern. René Théophile Hyacinthe Laënnec (1781-1826), der Erfinder des Stethoskops, machte einen großen Eindruck auf Hodgkin, der daraufhin eben so ein Stethoskop mit nach England zurückbrachte. Nach seiner Rückkehr hielt er bei einer Versammlung der "Guy's Hospital" Mediziner-Gesellschaft noch als Student eine Vorlesung über das Stethoskop. Das Instrument wurde mit Skepsis betrachtet, aber Hodgkins enger Freund und späterer Mitarbeiter William Stroud begriff seine Bedeutung und entwickelte daraufhin das flexible Stethoskop. Hodgkin qualifizierte sich in Edinburg 1823 mit einer Abhandlung über "The physiological mechanisms of absorption in animals" (in Latein verfasst). Nach der anschließenden Graduation reiste Hodgkin nach Europa. In Italien traf er eine wohlhabende jüdische Familie namens Montefiore. Eines der Mitglieder dieser Familie war Sir Moses Montefiore (1784-1885), "the Jewish Pope", mit dem Hodgkin später mehrere Reisen im Mittelmeerraum unternahm. Ein Londoner Mediziner Im Dezember 1825 wurde Hodgkin zum Mitglied der "Royal College of Physicians of London" gewählt und wurde gleichzeitig mit der Unterstützung älterer Kollegen vom "Guy's Hospital" zum Arzt einer "London Dispensary" ernannt. Diese öffentlichen Institutionen sind vergleichbar mit heutigen Notaufnahmen und wurden damals hauptsächlich von den armen und kranken aufgesucht. Finanziert wurden sie durch Spenden, Sammlungen und Studiengebühren. Mediziner und Chirurgen arbeiteten dort zeitweise und honorarfrei, während die Apotheker wenigstens Aufwandentschädigungen erhielten. Hodgkin beendete nach zweieinhalb Jahren diese Tätigkeit, nachdem er ungerechterweise in die Kritik geraten war, weil er während einer kurzen Krankheit nicht zur Arbeit erschienen war. Damals machte er in "Über die Funktionsweisen von Auswahl und Bezahlung von Medizinern für ihre Dienstleistungen bei den Armen von Gemeinden und Bezirken" auch darauf aufmerksam, dass es bei der Einstellung von Ärzten wohl entscheidend war, dass sie viel und unentgeltlich arbeiten - und nicht dass sie gute medizinische Qualifikationen vorweisen konnten. Neben seinen klinischen Aufgaben wurde Hodgkin 1825 zum Dozenten der pathologischen Anatomie und Kurator des Pathologie-Museums an der "Guy's Hospital"-Schule für Medizin ernannt, die damals gerade gegründet wurde. Aus dieser Position heraus begann er seine Karriere als Pathologe, welche er mit großer Begeisterung und Originalität beging. Bereits 1829 veröffentlichte Hodgkin einen Katalog mit 1677 Präparationen des Museums, die den Einfluss von verschiedenen Krankheiten auf Organe und Gewebe zeigten. Innerhalb kürzester Zeit stieg Hodgkin zum führenden Pathologen seiner Zeit auf. Nach seinem Verhalten zu urteilen, hätte Hodgkin sicherlich einen miserablen Geschäftsmann abgegeben, denn als er sich einmal eine ganze Nacht um einen sehr reichen Patienten gekümmert hatte, bekam Hodgkin einen Blankoscheck von diesem, den er mit 10 Pfund ausfüllte. Zu diesem Hohn fügte er dann noch ungewollt eine Beleidigung hinzu, indem es sagte, dass der Patient sich wohl nicht mehr leisten zu können schien. Der Patient zog ihn niemals wieder zu Rate. Es wurde von ihm gesagt, dass es ihm so zu wider war ein Honorar zu fordern, dass viele seiner Freunde sich deshalb nicht trauten, ihn zu konsultieren. Thomas Hodgkin war auch ein Vorkämpfer der vorbeugenden Medizin. Sein Vortrag über die Bedeutung der Förderung und Bewahrung von Gesundheit wurde 1841 als Buch veröffentlicht. Es enthält vier Teile; im ersten bespricht er Luft, Licht, Sauberkeit, Kleidung und Atmung - im zweiten die Wichtigkeit von sowohl fester als auch flüssiger Nahrung. Des weiteren behandelt er im nächsten Teil das Training von Muskeln und Geist und schließt das Buch mit einer Besprechung über die Bedeutung von Kindererziehung ab. Für seine Leistungen in der Medizin wurde Thomas Hodgkin im Jahr 1836 die Mitgliedschaft in der "The Royal College of Physicians" angeboten. Bis 1834 hatten nur in Oxford oder Cambridge studierte Mediziner - als Mitglieder der Staatskirche - die Möglichkeit in diesen elitären Kreis zu gelangen. Hodgkin lehnte diese Einladung ab wegen der seiner Ansicht nach bestehenden allgemeinen Ungerechtigkeit in bezug auf die Auswahl der Mitglieder für die Gesellschaft. 1827 wurde Thomas Hodgkin Englands erster Dozent, der über pathologische Anatomie referierte. Seine Vorträge wurden 1836 und 1840 als "Lectures on Morbid Anatomy" veröffentlicht. Unter seinen vielen Falluntersuchungen war auch eine genaue Beschreibung der Symptome von akuter Blinddarmentzündung, einer Krankheit, die eigentlich erst 50 Jahre später beschrieben wurde. Thomas Hodgkin war dunkelhaarig, klein und mager, lebhaft und als Dozent sehr geschätzt. Hodgkin's disease 1829 war das Jahr von Hodgkins ersten wichtigen Beiträgen zur Pathologie. In seiner Funktion als Konservator veröffentlichte Hodgkin einen Katalog der Präparate am "Guy's Hospital". Im selben Jahr schrieb er eine lange Abhandlung über die Klassifizierung von unerwarteten Geschwülsten innerhalb der Brusthöhle und des Unterleibs und beschrieb wie Krebs sich verbreitete. Dieser Artikel entwickelte sich allmählich zu zwei Bänden mit dem Titel "Die krankhafte Anatomie von Serosa und Schleimhäuten - eine Arbeit von essentieller Bedeutung für die moderne Pathologie. Des weiteren beschrieb er in diesem Jahr die Aortenklappeninsuffizienz in dem Artikel "Über die Retroversion der Ventile der Aorta" in der "London Medical Gazette". 20 Jahre später war dies der Impuls für Sir Dominic John Corrigan (1802-1880), dessen Name letztendlich für die Entdeckung der Aortenklappeninsuffizienz steht. Hodgkin entdeckte auch die Bikonkavität von den roten Korpuskeln und die Querstreifen in Muskelfasern. Darüber hinaus beschrieb er die akute Blinddarmentzündung mit Wurmfortsatzperforation und Bauchfellentzündung. 1832 beschrieb Hodgkin in einem Artikel die Krankheit, die seinen Namen trägt. Sein Beitrag mit dem Titel "On some morbid appearances of the absorbent glands and spleen" (Über einige krankhafte Erscheinungen der absorbierenden Drüsen und Milz) erschien im "Medico-Chirurgical Transactions", dem Journal der Medical and Chirurgical Society in London. 1865 beschrieb ein anderer britischer Mediziner, Samuel Wilks, das gleiche Krankheitsbild unabhängig von Hodgkin und mit größerer Präzision. Als er später von Hodgkins Arbeit erführ, erkannte er dessen Vorrang und benannte das Leiden nach Hodgkin in einem Artikel der "Guy's Hospital"-Reporte mit dem Titel "Cases of enlargement of the lymphatic glands and spleen - or Hodgkin's disease - with remarks" (Fälle von Vergrößerungen der Lymphdrüsen und Milz - bzw. Hodgkin Krankheit - mit Anmerkungen). Seitdem ist die Hodgkin Krankheit eines der bekanntesten aller medizinischen Eponymen geworden. Seine ursprünglichen Präparate von lymphogranulomatosen Krebsgeschwüren werden noch immer am Guy's Hospital bewahrt. In histologischen Wiederprüfungen 1926 - 60 Jahre nach dem Tod von Hodgkin - wurde seine Diagnose in dreien von sieben Fällen bestätigt. Seine anderen Fälle waren Non-Hodgkin-Lymphome, Tuberkulose oder andere Krankheiten des Lymphsystems mit ähnlichen Merkmalen. Hodgkin versus Babington Trotz seiner unbestrittenen Kompetenz war Hodgkin besonders unter seinen älteren Kollegen aufgrund seiner ständigen Forderung nach einer grundlegenden Reform der medizinischen Ausbildung ziemlich unbeliebt. Sein hartnäckiges soziales Engagement und sein Infragestellen von Sklaverei taten nichts, um dies zu verbessern. Der Geschäftsführer des Krankenhauses sagte, er würde niemanden in dem Krankenhaus aufnehmen, den man mit einem Indianer gesehen habe, eine Anspielung auf Hodgkins allgemein bekannten liberalen Ansichten. Im gleichen Jahr - nämlich 1837 - war er einer der Gründer der "British and Foreign Aborigines Protection Society" (Britische und Ausländische Ureinwohner Schutz-Gesellschaft). Als Folge von Hodgkins Bemühungen etablierte sich eine ähnliche Gesellschaft in Frankreich - obwohl mehr zu wissenschaftlichen als humanitären Zwecken. Als engagiertes Mitglied der "Gesellschaft der Freunde" (Quäker, englisch "Society of friends") trug Thomas Hodgkin demonstrativ entsprechende Kleidung. Der Zwischenfall, der Hodgkins Karriere am Guy's Hospital beendete, geschah 1837 nach dem Tod von James Cholmeley - der das Stethoskop als Blumenvase benutzte. Erwartungsgemäß wurde Addison daraufhin zum Arzt ernannt, der jedoch die Position eines zukünftigen Assistenzarztes noch offen ließ. Hodgkin schrieb sofort an den Krankenhausvorstand und bewarb sich um diese Position. Zudem fragte er an, als Kurator des pathologischen Museums des Guy's Hospital weiterarbeiten zu dürfen. Aber unglücklicherweise war da noch Dr. Benjamin Babington, ein verdienstvoller Mediziner und Wissenschaftler, Hodgkins Freund - und ein Konkurrent um die Stelle des Assistenzarztes. Babingtons entscheidender Vorteil mag die Tatsache gewesen sein, dass er der Sohn von William Babington war, der bis 1811 Arzt am Guy's Hospital war. Sein Vater war ein sehr geschätzter und beliebter Mediziner an der Institution gewesen. Er war ziemlich extrovertiert und genoss große Beliebtheit unter seinen Studenten - Qualitäten, die teilweise von seinem Sohn geerbt worden waren. Babingtons Schwester war die erste Ehefrau von Richard Bright, einem der drei ganz großen vom Guy's Hospital (Addison, Bright und Hodgkin). Trotz den Versuchen vieler einflussreicher Freunde und Verwandten Hodgkins, den Vorstand zu beeinflussen, wurde Benjamin Babington zum Assistenzarzt des Guy's Hospital gewählt. Am folgenden Tag verließ Hodgkin das Guy's Hospital für immer und wechselte zum St. Thomas' Hospital. Diese Entscheidung verursachte eine Vielzahl von Auseinandersetzungen, da Hodgkin für seine klinischen Verdienste hoch angesehen war - hatte er doch eine wichtige Rolle bei dem Aufbau des Guy's Hospital zu einer unabhängigen medizinischen Schule auf höchstem Niveau gespielt, und wurde von seinen Studenten hoch geachtet. Den Rest seines Lebens widmete sich Hodgkin zum größten Teil den Fragen der Sozialmedizin - vor allem jedoch den medizinischen Problemen der armen und unterprivilegierten, wie Indianern und Eingeborenen von Afrika. Die "British and Foreign Aborigines Protection Society", die er mit noch drei anderen gegründet hatte, existierte bis 1909, als sie mit der "British and Foreign Anti-Slavery Society" zusammengeschlossen wurde. Verbotene Liebe Als Sarah Goodlee - Thomas Hodgkins große Liebe - 1836 ihren Ehemann verlor, wurde die Beziehung zwischen den zwei Cousins fortgesetzt. Es wurde von Heirat geredet, aber wieder stand die Sekte dem Glück im Weg. 1840 machte Hodgkin eine letzte Anstrengung. Mit einem Artikel "Von der Regel, die die Ehe von ersten Cousins verbietet" betitelt, versuchte er die Regel zu verändern, blieb aber erfolglos. Da Hodgkin nicht wagte entgegen den Regeln der Sekte zu handeln, währte die Romanze nur noch bis 1847. Am 3. Januar 1849, heiratete Thomas Hodgkin Sarah Frances Callow (1804-1874). Alter Trotz Mitgliedschaft in einigen gelehrten Gesellschaften und einer der ältesten Dienstleister im Senat der London-Universität, zu deren Errichtung er viel beigetragen hatte, zog sich Hodgkin anscheinend wegen tiefen persönlichen Enttäuschungen immer mehr von der Medizin zurück und widmete sich den philosophischen, geographischen und ethnographischen Studien. Er wurde in die Königliche Geographische Gesellschaft aufgenommen und spielte eine wichtige Rolle bei der Errichtung der "Ethnological Society" 1843. Seit seiner Jugend war Thomas Hodgkin ein Freund von dem erfolgreichen Kaufmann und Menschenfreund Moses Montefiore (1784-1885), dessen Arzt er auch seit 1925 war. Während den letzten Jahren seines Lebens verbrachte Hodgkin viel Zeit mit Montefiore. Die zwei Freunde besuchten häufig den Nahen Osten, obwohl das Klima dort Hodgkin große Probleme bereitete. Hodgkins letzte Fahrt nach Israel fand im Herbst von 1866 mit Sir Moses statt. Schon bevor die Fahrt losging, hatte sich Hodgkins Gesundheit verschlechtert und er war unfähig die Reise nach Jerusalem fortzusetzen. So verbrachte er die letzte Zeit seines Lebens in der Obhut eines britischen Diplomaten in Jaffa. Thomas Hodgkin starb am 5. April 1866, und wurde auf einem kleinen protestantischen Kirchhof in Jaffa beerdigt. Sir Moses ließ einen Obelisken auf seinem Grab errichten mit der Inschrift "Here rests the body of Thomas Hodgkin M.D. of Bedford Square, London. A man distinguished alike for scientific attainments, medical skills and self-sacrificing philantropy" ("Hier ruht der Körper von Thomas Hodgkin M.D. von Bedford Square, London. Ein Mann angesehen gleichwohl für seine wissenschaftlichen Fähigkeiten, medizinisches Geschick und seine aufopfernde Menschenliebe"). Obwohl dieser Kirchhof jetzt geschlossen ist, bleibt sein Grab weiter bestehen. Seitdem ist sein Grab in Vergessenheit geraten und verwildert, aber die medizinischen Leistungen von Thomas Hodgkin bleiben weiterhin bestehen und es stellt sich die Frage, was dieser Mann wohl erreicht hätte, wenn er damals zum Assistenzarzt des Guy's Hospital ernannt worden wäre und nicht Benjamin Babington. Quelle: www.whonamedit.com - Aus dem Englischen übersetzt von Axel B.
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